Sonnenaufgang

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Der Atemzug, den ich nehme, ist kalt und schmeckt nach Salz und altem Stein. Es ist diese Stunde, in der die Welt noch nicht ganz wach ist, aber auch nicht mehr schläft. Ich stehe hier oben, auf dem Holz, das unter meinen Füßen leicht federt, und blicke in die Stille.

Der Himmel ist ein Wunder, ein einziges, zartes Versprechen. Er ist nicht blau, er ist ein verwaschenes Rosa, ein Lavendelton, der sich langsam in ein tiefes Violett an den Rändern der Dächer verliert. Dieses Licht ist so weich, dass es die Härte der Palazzi mildert. Ich sehe die gotischen Fensterbögen auf der linken Seite, die wie Spitzenstickereien aussehen, und frage mich, wie viele Leben sie schon beobachtet haben. Sie sind alt, ja, aber in diesem Licht wirken sie nicht müde, sondern nur geduldig.

Unter mir liegt der Canal Grande, eine breite, ruhige Fläche. Das Wasser ist dunkel, fast tiefblau, und es spiegelt die wenigen Lichter, die noch brennen, in langen, flackernden Goldstreifen wider. Es ist ein stilles Flüstern, das einzige Geräusch, das ich höre – das leise Glucksen des Wassers gegen die hölzernen Pfähle. Kein Motor, kein lautes Wort, nur dieses uralte Gespräch zwischen Stadt und Meer.

Meine Hände umklammern das Geländer. Ich fühle die Kälte des Holzes, die in meine Fingerspitzen kriecht. Es ist eine einsame Magie, die mich umgibt. Dort hinten, in der Ferne, erhebt sich die Kuppel der Kirche, doppelt und majestätisch, wie ein stiller Wächter über all dem. Sie ist der Anker in dieser fließenden, rosafarbenen Welt.

Ich bin nur eine Beobachterin, eine winzige Silhouette auf dieser Brücke, und doch fühle ich mich in diesem Moment so tief verbunden mit allem. Ich atme den Geruch von feuchtem Stein und der leichten Süße des Morgens ein. Es ist die Schönheit im Detail, die mich festhält: das sanfte Leuchten der Laternen, die sich weigern, dem kommenden Tag nachzugeben, die Textur der Fassaden, die Geschichten von Jahrhunderten erzählen.

Ich weiß, dass die Stille bald brechen wird. Die ersten Vaporetti werden kommen, die Stimmen werden lauter werden, das Rosa wird zu Gold. Aber jetzt, in dieser Intimität mit der erwachenden Stadt, halte ich den Atem an. Es ist ein melancholischer Gedanke, dass dieser perfekte, stille Moment gleich vorbei ist, aber genau das macht ihn so kostbar. Ich sauge ihn ein, speichere ihn ab, diesen Augenblick der subtilen Spannung zwischen Nacht und Tag

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